Meine virtuelle Interview-Couch hat wieder einen Gast beherbergt. Nach Blicken über den Tellerrand in Richtung IT-Servicemanagement und einem Ausflug in das Konfigurationsmanagement geht es heute um nichts als reines PLM. Ich freue mich sehr, dass mit Dr. Markus Sachers ein ausgewiesener Kenner der Materie mir meine Fragen beantwortet hat.
Herr Dr. Sachers, als langjähriger Geschäftsführer innerhalb der PROSTEP Gruppe und designierter Leiter des Geschäftsfeldes PLM Strategie und Prozesse ist Ihr Name eng mit der PROSTEP Gruppe verbunden. Können Sie vielleicht ein paar Worte verlieren, wie Sie zur PROSTEP gekommen sind und wo Sie mit dem Virus PLM infiziert wurden?
Gerne. Bereits während meiner Promotion habe ich mich mit dem Thema der durchgängigen, IT-gestützten Produktentwicklung beschäftigt. Fokussiert waren meine Arbeiten damals – Mitte der 1990er Jahre – noch auf die CAD-CAM-Kopplung und die durchgängige Auftragsbearbeitung für Einzel- bzw. Kleinserienfertiger. Dabei spielte die Definition und Entwicklung notwendiger Datenschnittstellen eine entscheidende Rolle. PROSTEP – sowohl der ProSTEP Verein als auch das Unternehmen – haben damals schon wesentlich zur internationalen Standardisierung im Bereich des Produktdatenmanagements bzw. dessen Verbreitung beigetragen. Ich hatte auch in meinen Arbeiten durch die Nutzung des STEP-Standards damit zu tun, so dass ich nach Beendigung der Promotion gleich bei der PROSTEP AG (damals war es noch die GmbH) als Berater einstieg.
Der ProSTEP iViP e.V. als auch die PROSTEP AG engagieren sich in vielfältiger Weise im Product-Lifecycle-Management. Wo sind dabei die Schwerpunkte der Arbeit und was unterscheidet dabei den Verein von der AG?
Der ProSTEP iViP Verein als Non-Profit-Organisation ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, Softwareherstellern, IT-Dienstleistern, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Er entwickelt zukunftsweisende Standards, Empfehlungen und Lösungsansätze für das Produktdatenmanagement und die virtuelle Produktenstehung.
Konkrete Beispiele der letzten Zeit sind Standards und Empfehlungen, die von Arbeitsgruppen zu den Themen Digital Manufacturing, ECAD, Requirements Management, Einsatz des JT-Visualisierungsformates, “Code of PLM Openness” oder Langzeitarchivierung von PDM/CAD-Daten erarbeitet wurden.
Die PROSTEP AG ist als IT-Lösungsanbieter eigenständig am Markt mit Dienstleistungen und Produkten im Bereich PLM aktiv. Unsere Schwerpunkte liegen auf der Entwicklung von Unternehmens-weiten und -übergreifenden PLM-Konzepten, deren Bewertung und Einführung, der Integration von PDM und CAD-Systemen sowie der PDM/CAD-Migration. Dabei sind wir meistens als “Mittler” zwischen den Fachbereichen und der IT aktiv. In allen Projekten bringen wir auch immer aktuelle Technologien und Standards – nicht nur aus dem ProSTEP iViP Verein – ein. Unsere vielfältigen Projekterfahrungen aus inzwischen über 20 Jahren PLM-Projekten sind dabei natürlich zentraler Bestandteil unserer Lösungen für unsere Kunden.
Seit der jüngeren Vergangenheit ist der Name PROSTEP mit der Initiative “Code of PLM Openness CPO” verbunden. Was war die Motivation des ProSTEP iViP Vereins zur Unterstützung des CPO und in welcher Form passiert dies?
Treiber für den CPO waren in erster Linie Fertigungsunternehmen, die einen hohen Bedarf haben, PLM-Systeme in sehr heterogene IT-Landschaften integrieren und diese dann betreiben zu müssen. Dazu sind PLM-Systeme notwendig, die weitestgehend “offen” sind, d.h., die offene Schnittstellen und transparente Architekturen aufweisen. Aber nicht nur technische Eigenschaften sind für die notwendige Offenheit relevant. Auch Vereinbarungen zwischen Anwenderunternehmen und Systemherstellern zu organisatorischen Regelungen – wie angemessene Partnerschaftsmodelle mit IT-Dienstleistern für Customizing-Leistungen, abgestimmte Produktrelease-Roadmaps, System-Kompatibilität mit Third-Party-Produkten und ähnlichem – sind wesentliche Aspekte.
Der ProSTEP iViP Verein wurde dafür als bestens geeignete Plattform gewählt, um ein grundsätzliches Regelwerk zwischen Anwenderunternehmen, Systemherstellern und IT-Dienstleistungen gemeinsam zu erarbeiten. Inzwischen haben sich bereits über 80 IT-Kunden, IT-Anbieter und IT-Dienstleister zum Code of PLM Openness bekannt.
Die Grundsatzregeln aus dem CPO können als Basis für konkrete, messbare Vereinbarungen in den Lizenz- bzw. Pflegeverträgen zwischen Unternehmen und Systemanbietern verwendet werden. Bei der Durchführung entsprechender spezifischer Anpassungen und Konkretisierungen unterstützen wir von PROSTEP wiederum die Unternehmen.
Der “Code of PLM Openness” ist ja nur ein Thema, dass unter der PROSTEP-Fahne segelt. Wo setzen Sie derzeit in Ihrer täglichen Arbeit gerade ihren Fokus?
Tatsächlich beschäftigen wir uns in unseren Projekten bei unseren Kunden in der letzten Zeit stark mit PLM-Einführungs- und Migrationsprojekten.
Neben den Branchen der Automobil- und Flugzeugindustrie, die ja bereits seit vielen Jahren die Einführung und den Roll-out konsolidierter PLM-Systeme betreiben, haben wir zunehmend Projekte in anderen Branchen der Fertigungsindustrie, die sich mit der Einführung von kommerziellen PLM-Systemen beschäftigen. Dabei bearbeiten wir in unseren Projekten alle Aufgabenstellungen von der strategischen Auswahl von Systemen (z.B. durch Unternehmens-spezifisches Benchmarking) über die Spezifikation und Implemetierung von Integrationslösungen bis zur Roll-out-Planung und –Unterstützung.
Auch die Datenmigration zwischen PLM-Systemen spielt zur Zeit eine erhebliche Rolle. Besonders Unternehmensveränderungen – wie Merger und Acquisitions, die Gründung von Joint Ventures oder die Auslagerung von Unternehmensteilen (Carve-out) – erfordern die Migration von PLM-Daten zwischen unterschiedlichen Systemen. In unseren Projekten sind PLM-Daten in erster Linie alle Entwicklungs- und Konstruktions-relevanten Daten, also natürlich auch CA-Daten, die in PLM-Systemen besonders integriert sind – sowohl methodisch, als auch von den Datenmodellen her. Hier setzen wir gerade mit unserer Expertise Lösungen um.
Sie blicken persönlich auf eine langjährige Erfahrung in der Planung und Unterstützung von PLM-Projekten zurück. Was hat sich in den letzten 10 Jahren verändert?
In den letzten Jahren hat der Einsatz von kommerziellen PLM-/PDM-Systemen stetig zugenommen. Der Druck auf IT-gestützte Unternehmensprozesse, effizienter zu werden, bei gleichzeitiger Forderung nach reduzierten Wartungs- und Betriebskosten von IT-Systemen führt immer weitreichender zur Einführung bzw. zum Ausbau der Einsatzbereiche von PLM-Standardsoftware in den Unternehmen.
Dabei spielt die Integration der Prozesse und Systeme aus unterschiedlichen Domänen eine zentrale Rolle. Nicht nur Kernprozesse und –Daten aus der Entwicklung und Konstruktion – wie CAD-Daten, Produktstrukturen (z.B. verschiedene BoM-Sichten), Versionen und Konfigurationen oder Freigabeprozesse – werden in PLM-Systemen abgebildet, sondern auch zunehmend Bereiche wie Berechnung und Simulation (z.B. SDM-Systeme) oder Elektrik-/Elekronik- und Softwareentwicklung (z.B. ALM-Systeme). Treiber dafür ist häufig nicht nur eine steigende Produktkomplexität oder die immerwährende Forderung nach Effizienzsteigerungen, sondern auch die wachsende Erkenntnis, dass nur eine ganzheitliche Betrachtung der PLM-relevanten Prozesse und IT-Systeme im Unternehmen einen maximalen Nutzen bringt. Wir erreichen dies in unseren strategisch ausgerichteten Kundenprojekten zum Beispiel durch den Einsatz der Analyse- und Definitionsmethoden des „Enterprise Architecture Managements (EAM)“.
Eine weitere Entwicklung sind die vielen Unternehmenszusammenschlüsse und –Aufkäufe (Mergers & Acquisitions) der letzten Jahre in der Fertigungsindustrie. Wir haben bei unseren Kunden daher einen großen Anteil an PLM-Integrations- und Migrationsprojekten. Hier sind Lösungen gefragt, die den unterschiedlichen fachlichen und organisatorischen Voraussetzungen der Kunden Rechnung tragen. Beispielsweise können sowohl „Big Bang“-Migrationen als auch Lösungen auf Basis der temporären Koexistenz von Systemen sinnvoll sein. Beides verwenden wir in unseren Projekten.
Und wenn wir in die Vergangenheit schauen, darf auch der Blick in die Zukunft nicht fehlen: Was wird aus Ihrer Sicht das PLM-Projekt 2025 vom PLM-Projekt im Jahr 2015 unterscheiden?
PLM-Projekte werden sich zukünftig natürlich anhand der generellen Ausrichtung und Entwicklung von PLM in der Industrie in den kommenden zehn Jahren ausrichten. Und hier wird sich meines Erachtens ein starker Einfluß der „Digitalen Transformation“ auswirken. Als Digitale Transformation bezeichnen wir den – in vielen Bereichen bereits begonnenen – Wandel hin zu ganz neuen Produkten und Geschäftsmodellen, basierend auf einer zunehmenden Digitalisierung von Daten aus allen Lebensbereichen („Big Data“) und digitaler Vernetzung (z.B. „Smart Factory“, „Smart Product“, „Smart Service“ u.a.) auf allen Ebenen der industriellen Wirtschaft. In der Fertigungsindustrie beginnt das „Internet der Dinge“ bereits heute Daten, insbesondere aus Produktion („Industrie 4.0“), Logistik und dem After Sales, in einer Weise zu erfassen, wie es traditionell nicht möglich war. Dies wird zu einer zunehmenden Individualisierung von Produkten – auch in neuen Kombinationen mit Nutzer-spezifischen Funktionalitäten oder Dienstleistungen – führen, so dass die Komplexität der Produkte und deren Steuerung über den gesamten Lebenszyklus steigt. Dies führt nicht nur zu deutlich erhöhten Anforderungen an PLM-Konzepte und –Systeme auf der einen Seite, PLM wird auf der anderen Seite auch gerade ein zentraler Baustein für die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation in Unternehmen sein.
In der Zukunft werden wir die Einführung und Erweiterung von PLM-Systemen durchführen, die beispielsweise deutlich stärker vernetzt sein werden mit anderen Systemen oder zusätzliche Such- und Vernetzungs-Funktionalitäten erhalten werden. Letzteres ist bereits in Ansätzen durch PLM-Systemanbieter in der Vorbereitung. In diesem Zusammenhang werden wir, noch intensiver als heute schon, Konzepte des Anforderungs- und Wissensmanagements in PLM-Systemen umsetzen. Die erhöhte Verfügbarkeit von Daten aus dem gesamten Produktlebenszyklus werden sich darüber sowohl für die Verbesserung und Individualisierung vorhandener Produkte, als auch für die Entwicklung neuer Produkte nutzen lassen.
In der Produktentwicklung werden wir sicher eine konsequentere Umsetzung der Methoden des Systems Engineering in PLM-Systemen sehen. Eine Modell-basierte, ganzheitliche Entwicklung von mechanischen, elektronischen und Software-Komponenten wird aufgrund der genannten Trends verstärkt Einzug in PLM-Konzepte und –Systeme finden. In unseren heutigen PLM-Projekten entwickeln wir bereits Konzepte und Lösungen mit unseren Kunden für einige der genannten Methoden und Prozesse.
Herr Dr. Sachers, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und wünsche Ihnen für Ihre kommenden Projekte viel Erfolg.