Die Tage werden immer kürzer und die Übergangsjacke hängt längst an jenem Garderobenhaken, an dem bis vor wenigen Tagen noch die Sommerjacke baumelte. Für die Autofahrer unter uns ist es Zeit, an den Winterreifenwechsel zu denken – übrigens ein sich regelmäßig wiederholender Meilenstein im Product-Lifecycle-Management des Vehikels. Das könnte man direkt mit der „O-bis-O“ Funktion verknüpfen und somit für einen gewissen Automatisierungsgrad sorgen.
Aber ich schweife ab. In weniger als 80 Tagen ist Weihnachten, der Jahreswechsel folgt auf dem Fuß und dieser ist für die Verkaufsorganisationen der PLM-Systemhersteller ein wichtiges Datum. Verkaufte Lizenzen werden gezählt, Marktanteile berechnet. Ein paar Häuser werden vielleicht zufriedener sein als andere, aber an einer recht heterogenen Marktaufteilung wird sich auch in 2015 wenig ändern. Je nach Betrachtungsweise teilen sich 4-6 größere Unternehmen den PLM-Markt auf und neben diesen gibt es eine ganze Reihe von kleineren Softwareschmieden, die sehr gute Lösungen anbieten. Und in diesem Jahr sorgen die PLM-Punks aus Andover verstärkt für frischen Wind und etwas Rock’n’roll im Markt.
Ich möchte aber heute mein Augenmerk auf ein PLM-Werkzeug lenken, dass a) niemand wirklich PLM-Werkzeug nennen würde und b) aber den PLM-Markt im Nutzungsgrad und in der Verbreitung mit weitem Abstand anführt. Ich spreche vom guten alten Microsoft Excel.
Setzen wir doch einmal die „wir-haben-alles-in-PLM-integriert-Brille“ ab und überlegen, wie oft Excel-Tabellen immer noch eine der wichtigsten Informationsträger und -übermittler in wertschöpfenden Geschäftsprozessen sind. Um es mal noch etwas anschaulicher zu machen: Nehmen Sie bitte in ihrem Unternehmensalltag gedanklich eine Excel-Deinstallation auf allen Arbeitsplatzrechnern vor. Wie gut funktioniert dann noch ihr PLM? Sicher, der große Rahmen wird immer noch irgendwie laufen und es gibt mit Sicherheit Prozesse und Teilbereiche, in denen Excel kein Stück vermisst werden würde. Aber wie oft ist die Excel-Tabelle eine nicht wegzudenkende Ergänzung des gesamtem PLM-Prozesses und ohne sie läuft gar nichts?
Mein Blogartikel soll auf keinen Fall zur Ablösung dieser Excelnutzung anregen. Dafür arbeite ich viel zu gern mit diesem Tool. Ich möchte aber einmal darüber nachdenken, warum gerade Microsoft Excel im PLM-Bereich diese unfassbar große Verbreitung und diesen hohen Nutzungsgrad hat.
Als erstes fällt mir dazu ein, dass Excel einfach seit Ewigkeiten am Markt ist und durch die Durchdringung das Office-Software-Marktes durch Microsoft wohl auf jedem Arbeitsplatzrechner zur Verfügung steht. Im Wikipedia-Artikel kann man lesen, dass es die erste PC-Version im Jahr 1987 gab – das ist knapp 30 Jahre her! Im Vergleich dazu nutzen wir Internet Browser und die darunter liegende Webtechnologie gefühlt erst seit letzter Woche. Der quasi uneingeschränkte Zugang zum Programm und die lange Nutzungserfahrung ist die erste Antwort auf die oben formulierte Frage.
Nicht jeder Anwender beherrscht Excel perfekt, ganz im Gegenteil. Ich vermute mal, dass ich im täglichen Arbeitsleben vielleicht 10-20% der Möglichkeiten des Programms ausnutze. Das wurde mir vor einiger Zeit klar, als mir ein damaliger Kunde ein komplett ausdetailliertes PLM-Daten- und Prozessmodell in MS Excel zeigte. Das war ziemlich beeindruckend. Sicher spielt MS Excel nicht in der Champions League der Usability und des Benutzerkomforts, aber wir alle wenden dieses Programm schon so lange an und können trotz des teilweise seltsamen Verhaltens damit gut umgehen. Und wenn wir mal nicht weiterwissen, hilft uns eine schier unendliche Menge an Hilfeseiten und –foren im Internet weiter. Unsere vom PLM vollkommen unabhängig gesammelten Erfahrungen mit MS Excel gepaart mit dem Wissen von Millionen (Milliarden?) anderer Nutzer lässt uns für fast jedes Anwendungsproblem eine Lösung finden. Das ist meine zweite Antwort.
Microsoft Excel stellt Daten in einer Tabellenform dar. An der Schnittstelle von zwei Ausgangsgrößen steht der dazugehörige Wert. Die Mathematiker unter Ihnen verzeihen mir bitte diese unwissenschaftliche Formulierung. Das erinnert stark an die Darstellung vieler Daten in einem PLM-System. Das Metadatum „Autor“ (Spalte) des Dokuments „Blogbeitrag Excel“ (Zeile) hat den Wert „Christoph Golinski“. Der Lebenszyklusstatus des Bauteils 0185 hat den Wert „Obsolete“. Ebenso sind diese Daten in Excel sehr schnell zu ändern, zu sortieren oder zu filtern. Tabellen sind auch in PLM-Systemen oft zu finden. Man denke nur an die Darstellung von Suchergebnissen, die sehr ähnlich zu Excel ist. Ein weiterer Aspekt ist die grafische Auswertung von Daten. Auch hier bietet Excel den Endanwender relativ einfache Funktionen an, Diagramme zu erzeugen und Trends und Abhängigkeiten grafisch zu visualisieren. Das ist die dritte Antwort: Die unbestrittenen Darstellungs- und Editierfunktionen von zweidimensionalen Datendarstellungen.
Zu guter Letzt möchte ich noch die Erweiterbarkeit von Excel ansprechen. Beginnend beim Makrorekorder bis hin zu mächtigen VB-Makros; Nerds und interessierte User können sich hier richtig austoben und fehlende Funktionalitäten sehr einfach ergänzen oder anpassen. Das ist jetzt sicher nichts für den Excel-Normalnutzer, aber die Hürde zur Programmierung ist in Excel extrem niedrig. Diese Flexibilität und die Erweiterbarkeit, die jedem (!) Anwender zur Verfügung steht, ist ein starkes Pfund, an dem sich PLM-Systeme messen lassen müssen.
Meine Aufzählung der Gründe für die immense Verbreitung und der intensiven Nutzung von Microsoft Excel im PLM kann und soll gar nicht vollständig sein. Es soll einfach nur Gründe aufzeigen und zur Diskussion über diesen „hidden champion“ der PLM-Systeme anregen. Dazu möchte ich Sie gern einladen.